Notizen zum Kino 2: Das Filmkunstwerk im Zeitalter seiner digitalen Vervielfältigung

Von Achim Hackenberg und Michael Viertel

 „Raubkopierer sind Verbrecher“, so der Slogan einer aktuellen Kampagne der deutschen Filmwirtschaft zum Schutz des Originals. Wie schon zuvor die Software- und Musikindustrie, sieht sich auch die Filmwirtschaft zunehmend mit Verlusten durch Raubkopien konfrontiert. Vor allem die im Internet vorab veröffentlichten Blockbuster Produktionen, wie z.B. Star Wars, Harry Potter und Co., werden für die schlechte Stimmung an den Kinokassen verantwortlich gemacht. Doch was lässt sich über Raubkopierer eigentlich sagen? Es gibt natürlich nicht den Raubkopierer. Die Herstellung und Verbreitung von illegalen Kopien ist ein globales Phänomen. Eine Vielzahl von Personen mit sehr unterschiedlichen Interessen ist daran beteiligt. Sie lassen sich dennoch in zwei wesentliche Kategorien einteilen.

Zum einen gibt es die Profitpiraten, Personen oder Gruppen, die mit der Herstellung und dem Verkauf von illegalen Kopien lediglich das Ziel verfolgen, Geld zu verdienen. Sie lassen hohe Auflagen von Kopien gängiger Filme, Musikalben, Computerspiele, Anwendungsprogramme etc. auf CD oder DVD herstellen, die auf unterschiedlichen Wegen zu ihren Käufern gelangen. Neben Flohmärkten, Zeitungsannoncen oder Mund zu Mund Propaganda, nutzen diese Raubkopierer bei uns auch verstärkt das Internet. Sie werben auf eigenen Seiten und anderen Onlineshops für ihre Produkte oder bieten diese auch als Originale getarnt direkt in Onlineauktionen an.

Auf der anderen Seite stehen die Raubkopierer die nur im Internet agieren. Sie verfolgen keine monetären Interessen. Ganz im Gegenteil. Die Warez-Szene (wie sie sich selber nennt) verurteilt solche Handlungen und beruft sich auf einen Ehrenkodex, kein Geld an oder mit Raubkopien zu verdienen. Dazu organisieren sie sich in Gruppen. Strenge hierarchische Strukturen, strikte Arbeitsteilung, eine hohe Spezialisierung sowie eine große Loyalität untereinander ermöglichen das sehr „produktive“ Arbeiten. Vergleichbar ist das etwas zur Graffiti-Sprayer-Szene mit ihrem speziellen Ethos. Ziel jedes einzelnen Mitgliedes ist es, dem Namen der Gruppe einen hohen Bekanntheitsgrad zu verschaffen und damit sich selbst einen angesehenen Status. So werden einige Gruppen bzw. Mitglieder wie Popstars von den anderen verehrt. Um zu dieser „Elite“ zu gehören, gilt es sich über einen längeren Zeitraum durch eine große Anzahl von Veröffentlichungen einen Namen zu machen.

Für Software bedeute das, die komplexen Kopierschutzsysteme zu umgehen. Da Filme, Musik und Bücher noch nicht durch adäquate Systeme geschützt sind, liegt der Prestigegewinn hier in einer Erstveröffentlichung vor dem offiziellen Starttermin. Dabei spielt die Qualität zunehmend eine Rolle. Es lässt sich beobachten, dass im Bereich Kinofilm diese stark zugenommen hat. Die wirklich bekannten Gruppen veröffentlichen kaum noch Versionen, die durch ein Abfilmen im Zuschauerraum während einer regulären Vorführung entstanden sind. Sie gelangen auf anderen Wegen an entsprechendes Material, z.B. durch so genannte DVD-Screener. Um also Teil dieser Szene zu sein, müssen die Personen entweder über sehr gute technische Kenntnisse oder Kontakte verfügen.

Doch sind sich die Gruppen eigentlich über der Tragweite ihrer Handelungen im Klaren? Es findet durchaus eine Thematisierung des Problems der massenhaften Nutzung statt. Zum einen geht das sicherlich auf den Druck einer verstärkten zivil- und strafrechtlichen Verfolgung zurück. Der entscheidende Aspekt dabei ist aber eher in einer Entwertung der distinktiven Symbole dieser Subkultur zu suchen. Besonders die Tauschbörsen sind den Warez-Gruppen dabei ein Dorn im Auge. Durch sie gelangen User in den besitzt von Kopien, die selber über kein bzw. nur geringes technisches Verständnis verfügen und die Werte und Einstellungen der Warez-Szene nicht teilen und noch viel schlimmer – diese selbst gar nicht erst wahrnehmen. Alle Gruppen verbieten daher in der Regel die Weitergabe. Dies ging bisweilen soweit, dass einige Filmrelease Gruppen die Überlegungen anstellten, ihre Kopien selbst durch ein Sicherheitssystem zu schützen. Es sollte so nur noch Mitgliedern möglich sein, die Kopien zu gebrauchen. Diese Überlegungen wurden aber nie umgesetzt.

Die Warez-Gruppen wissen, dass sie eine Weitergabe praktisch nicht verhindern können. Sie haben sich mit diesem Umstand arrangiert, ein Unrechtsbewusstsein diesbezüglich existiert also doch nicht. Es kommen vielmehr verschiedene Neutralisierungsmechanismen zur Anwendung (Ideologien, Mythen), um die Straftaten selbst zu rechtfertigen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Digitalisierung der Kinos auf die Szene auswirkt. Bisher ist es weder der Software- noch der Musikindustrie gelungen, einen wirklich funktionierenden Schutz ihrer Produkte zu gewährleisten. Ob dies nun für das Kino wirklich gelingt, wird sich zeigen. Der betriebene Sicherheitsaufwand ist jedenfalls enorm.

Bei der Abwehr der wirtschaftlichen Gefahr schießen Firmen zum Schutz ihrer Produkte aber auch weit über das Ziel hinaus. So hat z.B. Sony BMG kürzlich einen Kopierschutz entwickelt, welcher nicht nur das illegale Kopieren verhindert sondern darüber hinaus die privaten PCs der Kunden, die ganz gesetzestreu und legal das Produkt erworben haben, lahm legt oder gar beschädigt. Solche Dampfhammermethoden gepaart mit den ebenfalls missglückten öffentlichen Kampagnen, welche potentielle Raubkopierer einschüchtern sollen, können auch nach hinten losgehen, weil sie die Psychologie eines sensiblen Marktes ignorieren und dadurch noch mehr zahlende Kunden verprellen. Man macht sich den Kunden zum Feind, ohne zu registrieren, dass sich mit der digitalen Revolution vielleicht auch die Kundenwünsche geändert haben könnten. Die neuen Nutzungsmöglichkeiten, die z.B. DVD-Brenner, DSL-Breitbandanschlüsse, Laptops mit W-LAN oder MP3-Player anbieten, haben auch die Kundenwünsche nach Verfügbarkeit, Flexibilität, Geschwindigkeit medialer Produkte geweckt.

Firmen wie Sony, welche sowohl Geräte als auch Inhalte produzieren, haben also nicht zuletzt selbst diese Entwicklung mit vorangetriebenen. Anstatt aber die geweckten Bedürfnisse jetzt auch clever kommerziell zu nutzen, sind Hilflosigkeit und Hysterie vorherrschend. Es wird vielmehr Versucht diese Entwicklung zu behindern oder aufzuhalten, indem die vielseitigen Möglichkeiten, welche digitale Produkte heute bieten und die durchaus für den Verbraucher attraktiv sind, wieder auf ein unbefriedigendes Maß reduziert werden. An dieser Stelle wird das eigentliche Dilemma deutlich: Um den Schutz des geistigen Eigentums vor dem Hintergrund der vielseitigen digitalen Technik aufrecht zu erhalten, hat man offenbar die letzten zehn Jahre einen Weg bestritten, welcher der aktuellen technischen Entwicklung und den Kundenwünschen entgegen steht.

Ein viel versprechenden Zwischenlösung bieten zurzeit kommerzielle Internetplattformen, wie z.B. der Online-Musikshop I-Tunes von Apple, welche den heutigen Kundenwünschen schon etwas mehr entgegenkommenden und dennoch wirtschaftlich äußerst erfolgreich sind. Die andere Lösung jedoch, den Schutz über immer neue und nur mit großem Know How, also sehr zeit- und kostenintensiv zu knackende Kopierschutzmaßnahmen zu suchen, kann nur diejenigen abschrecken, welche sich durch Raubkopien einen wirtschaftlichen Vorteil versprechen, für die auch Zeit Geld ist. Dieser Weg bedeutet ein permanentes und auch für die Industrie kostenintensives Wettrüsten, das wir momentan erleben. Für die Szene der gut organisierten aber nicht gewinnorientierten Raubkopierer bedeutet dies jedoch eine immer neue Herausforderung – je kompliziertet und zeitintensiver, desto größer das zu erwartenden Prestige innerhalb der Szene. Auch wenn ihr Ehrenkodex Gewinnsucht verbietet, so ist ihre Wirkung, wie oben genannt, unkalkulierbar, da man ihren wirklichen wirtschaftlichen Schaden nach wie vor nicht einschätzen kann.

Ein wirkliche Alternative kann also nur bedeuten, dass man sich endgültig von althergebrachten Produktvorstellungen verabschiedet: Digitale Produkte kann man in Zukunft nicht weiterhin wie ein Pfund Butter oder ein Auto verkaufen. Langfristig geht es darum Lösungen zu finden, die das geistige Eigentum schützen und den wirtschaftlichen Erfolg der Eigentümer garantieren, ohne die digitale Technik und ihre innovativen Möglichkeiten künstlich und mit viel Aufwand begrenzen zu müssen. Das Zauberwort heißt: Flatrate. Im Sinne eines Abonnementsystems, dass es heute schon für Internet- und Telefonverträgen gibt, könnte man auch z.B. über eine Art gemeinsamer Kino-Flatrate, z.B. als Cinemaxx- oder Arthouse-Flatrate, Kino-Erlebnis und Internet-Download- bzw. diverse Kopiermöglichkeiten durch eine gemeinsame Abo-Gebühr miteinander verbinden. Das heißt dann Synergien nutzen, neue Märkte erschließen (bevor es wieder die anderen tun!) und nicht in immer teuere aber nach kurzer Zeit wirkungslose Kopierschutzmaßnahmen und kundenfeindliche Kampagnen investieren, welche sich dauerhaft nur als Innovationskiller erweisen, die vorhanden Kundenwünsche ignorieren und nachhaltig betrachtet kaum profitabel sein können.

Achim Hackenberg und Michael Viertel
© VdFk 2006

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