Gegen das Vergessen

10. Januar 2013

Zum Tode des Publizisten und Kurators Gerhard Schoenberner

1960 erschien „Der gelbe Stern“ von Gerhard Schoenberner, ein Bericht über die Judenverfolgung in Europa von 1933 bis 1945. Es war die erste Publikation zu diesem Thema, die sich an eine große Leserschaft richtete und nicht zuletzt durch 200 Fotografien eine erschütternde Wirkung hatte. Das Buch erlebte viele Neuauflagen und viele Übersetzungen.

Schoenberner ist am 10. Dezember im Alter von 81 Jahren gestorben. Die Auseinandersetzung mit dem „Dritten Reich“, mit dem Holocaust, mit Gewaltherrschaft und Tyrannei, war sein Lebensthema. Er hat weitere Bücher geschrieben, in Zeitungen und Zeitschriften publiziert, vor allem aber Initiativen und Stiftungen angeregt oder mitbegründet, die sich dem Vergessen entgegenstellten. Die wichtigste war die Gedenkstätte „Haus der Wannseekonferenz“, deren erster Direktor er dann von 1989 bis 1996 war. In dieser Villa am Berliner Wannsee war 1942 die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen worden. Für epd Film hat er im Jahr 1991 einen Nachruf auf den Regisseur Falk Harnack („Der 20. Juli“) verfasst.

Ganz entscheidend mitgewirkt hat Schoenberner auch an der Gründung der Stiftung „Topografie des Terrors“ in Berlin, dort wird am 10. Januar 2013 die Gedenkfeier für ihn stattfinden. Aktiv war er auch ab 1976 im PEN-Zentrum Deutschland. Als Vizepräsident von 1991 bis 1995 war er Beauftragter der Initiative „Writers in Prison“. Es ging Schoenberner aber nicht nur darum, Verbrechen anzuklagen, ebenso wichtig war ihm die Verständigung, die Versöhnung. So leitete er von 1973 bis 1978 das Goethe-Institut in Tel Aviv, keine leichte Aufgabe, dem israelischen Publikum deutsche Literatur, deutsche Musik und deutschen Film nahezubringen, zwischen deutscher und israelischer Kultur zu vermitteln.

Geboren ist Schoenberner am 24. Mai 1931 in Neudamm (Westpommern, heute Polen) als Sohn eines evangelischen Pfarrers. Ab 1949 studierte er als Werkstudent in Berlin Politikwissenschaft, Germanistik und Theaterwissenschaft. Stark geprägt war er von seinem Onkel Franz Schoenberner (1892 – 1970), dem letzten Chefredakteur der politischen Satirezeitschrift „Simplicissimus“ vor Hitlers Machtergreifung. Franz Schoenberner ging ins Exil, Gerhard Schoenberner hat später für den Exil-Briefwechsel seines Onkels mit dem Schriftsteller Hermann Kesten das Vorwort geschrieben.

Intensiv widmete sich Gerhard Schoenberner auch dem Film. Das war kein Ausweichen in die Unterhaltung oder pure Kunst. Der Film war für ihn ein Medium, in dem sich die Konflikte der Zeit nicht nur widerspiegelten, sondern oft auch ausgetragen wurden. Deshalb machte Schoenberner zahlreiche Seminare über den Film als Mittel politischer Propaganda. Für die Dritten Fernseh-Programme der ARD produzierte er 1969 eine zwölfteilige Serie über den Film im „Dritten Reich“.

Andererseits war er in verschiedenen Gremien aktiv beteiligt an der Förderung des jungen, des neuen, des kritischen Films. Er war auch an der Seite von Ulrich Gregor Mitinitiator des „Internationalen Forums des Jungen Films“, dem 1971 gegründeten Alternativ-Programm der Berlinale.

So sehr sich Schoenberner mit den Schrecken des 20. Jahrhunderts auseinandersetzte, er war nie ein Prediger, er war ein eher leiser, immer klug argumentierender, auch für Ironie und Humor begabter Mensch und Autor. Und er schrieb Gedichte, was kaum jemand wusste. Ein halbes Jahr vor seinem Tod ist unter dem Titel „Fazit“ ein Band mit Prosagedichten erschienen, die manche Leser an Brecht oder Erich Fried erinnerten. „Immer wieder / steht der Mensch auf / erhebt sich / wird niedergeschlagen / erhebt sich wieder / Für jeden Toten / tritt ein Lebender / an seine Stelle / Man kann nicht alle erschießen.“
Wilhelm Roth

 

Der Text ist der epd-film 1/2013 entnommen und wurde uns freundlicherweise zum Abdruck zur Verfügung gestellt.