Saving Mr. Banks

"Saving Mr. Banks" ist der erste von 12 Filmkritiken des Siegfried-Kracauer-Preisträgers 2013 Nino Klinger.

 


Verliebt in die eigenen Widersprüche: Saving Mr. Banks ist ein Reflexions-Rebus.

Nino Klingler

Damit das Offensichtliche gleich vom Tisch ist: Saving Mr. Banks ist ein Disney-Film über die Produktion eines Disney-Klassikers (Mary Poppins
von Robert Stevenson, 1964), inklusive Besuch im Disney-Land mit Walt
Disney höchstpersönlich. Dass Letzterer auch noch vom Berufssympathen
Tom Hanks als jovialer, leicht verschusselter Wohlfühlpatriarch
verkörpert wird, scheint alle Befürchtungen zu bestätigen: Hier betreibt
ein Konzern, eine Ideologie, eine Ästhetik (man wähle nach eigener
Präferenz) Nabelschau und Geschichtspflege bis auf Meta-Level 3.

Ja, aber. Jede selbsterfüllende Prophezeiung durchläuft eine
unbestimmte Phase, eine Zeit der Narrenfreiheit, die gerade deshalb frei
ist, weil Anfangs- und Endpunkt ohnehin von vornherein schon festgelegt
sind. Ebenso Saving Mr. Banks: Ohne je Zweifel daran aufkommen
zu lassen, dass auf das Retro-Logo zu Beginn ein abschließendes Happy
End antworten wird, darf der Film zwischendrin reichlich offenherzig und
mit gehöriger Selbstironie ein wenig an den Stützpfeilern der
Disney-Scheinwelten sägen. Das mag mitunter daran liegen, dass er von
der britischen BBC entwickelt und co-produziert wurde, was eine etwas
distanzierte, kritische und – worüber noch zu reden sein wird –
„europäische“ Perspektive in der Struktur des Filmes vertäut.

Alles fängt mit einer schalkhaften Verwurstung altbekannter
Erzählschablonen an: Die Fish-out-of-water-Rezeptur, wonach eine
kulturell genau verortete Hauptfigur in ein ihr fremdes Umfeld
verpflanzt wird, ist ja ein Disney-Standard. Doch für die very british P.L.
Travers (Emma Thompson) – ihres Zeichens Autorin der von Walt heiß
begehrten Mary-Poppins-Bücher – liegt die Fremde mitten im
kalifornischen Knuddel-Imperium der Disney Company. Im Hotelzimmer
verbannt sie daher erst mal ihr Begrüßungsheer aus konzerngesponserten
Plüschtieren in Schränken und Kisten, ohne sich angesichts eines debil
grinsenden Winnie-the-Puuh ein mitleidiges „Poor A. A. Milne!“ zu
verkneifen. Der Schriftstellerkollege hat seine Romanfigur schon
disneyfizieren lassen, wogegen sich Travers, die angesichts der
kumpelhaften Vornamen- und Schulterklopfkultur Amerikas auf
alteuropäische Etikette erpicht ist, fast den kompletten Film über
wehren wird. 

Was anfangs wie der große MacGuffin des Films wirkt – die Frage, wann
Travers denn endlich den Lizenzvertrag unterschreibt –, entpuppt sich
zunehmend als ziemlich ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage nach
geistigem Eigentum. Denn die Verwertungsrechte, die Disney aus der
zugeknöpften Britin mit einem Bombardement aus zuckersüßen
Gefälligkeiten und psychologisierendem Bezirzen herauslocken will, sind
emotional stark besetzt. Das Britische, das sich hier vernehmlich am
Kalifornischen reibt, ist selbst eine Maskerade, verdeckt ein
Ursprungstrauma. Von Beginn an ist Saving Mr. Banks durchsetzt
mit Flashbacks, die von einem Mädchen namens Helen Goff (Annie Buckley)
im australischen Nirgendwo und ihrer Liebe zu einem verträumten,
saufenden Tunichtgut von Vater (Colin Farrell) erzählen. Und allmählich
wird deutlich, dass die kleine Helen, die von einem perfekten Haushalt
träumt, hinter dem Pseudonym P.L. Travers steckt, welche wiederum
mithilfe ihrer Romanfigur Mary Poppins genau jenes Familienidyll
verteidigen will, das ihr versagt geblieben war.

Mit dem Eintritt in Travers’ Psychohaushalt macht der Film samt seiner
Erzählstruktur eine Metamorphose durch, wechselt in ein wesentlich
grüblerisches und dunkleres Register. Und so beginnt die Analysesitzung.
Im ganz klassisch freudianischen Sinne dienen die langen und
konfliktreichen Drehbuchsessions, bei denen sich Travers standhaft gegen
die Verniedlichungsversuche ihrer Fantasiewelt durch das Disney-Team
zur Wehr setzt, dem Durcharbeiten eines hinter der Poppins-Erzählung
latent arbeitenden frühkindlichen Vaterkomplexes. 

Diese Verschiebung ins Psychologische ist eine doppelt kluge
Entscheidung. Denn einerseits wird die ausgelutschte
Fish-out-of-Water-Struktur damit vom Räumlichen ins Biografische
verlagert. Das sonnensatte Disney-L.A. wird immer mehr von der
australischen Wüstenei verdrängt, die erwachsene P.L. Travers muss bald
nicht mehr nur mit der fremden Kultur, sondern zuallererst mit ihrer
entfremdeten Kinderseele ins Reine kommen. 

Auf diesem Pfad dringt der Film in sein thematisches Herz vor, zur
Frage nach der moralischen Aufgabe der Fantasie. Wenn Travers und Disney
um die Filmrechte ringen, dann ringen sie auch um zwei verfeindete –
hier als „europäisch“ vs. „amerikanisch“ – konnotierte Auffassungen von
Imagination. Hilft sie uns, die wahre Gestalt der Realität zu
durchdringen, oder verhilft sie uns nur zur Flucht? Travers sieht in
Disney ihren Versager-Vater reinkarniert, der – minus den Alkohol – auch
nur verlogenen Schabernack mit formbaren Kinderseelen treibt. Disney
hingegen stellt die Sonderstellung der Wirklichkeit überhaupt infrage,
für ihn sind alles nur Storys, mal traurig, mal lustig – mit dem großen
Unterschied jedoch, dass man die Fantasie kontrollieren kann. Und so
kommt hier die Disney-Ästhetik zu einem raren, nicht gänzlich durch
Gewinnkalkül wegzuerklärenden Moment der Selbsterkenntnis: Um eine
befreiend und anarchisch scheinende Traumwelt zu kreieren, ist viel
Kontrolle vonnöten.

So kommt die zweite Stärke einer filmischen Anwendung der
freudschen Traumalogik ins Spiel: Die sonst eher latent spürbare,
tunlichst verheimlichte Kontrolle aller Bildbestandteile, wie sie einem
der firmeneigenen Selbstzensur unterworfenen Disneyfilm ja stets zu
eigen ist, wird hier ins Zuschauerbewusstsein gerückt. Nichts, was man
sieht und hört, ist zufällig platziert: Die Birnen, die Travers zu
Beginn in den Hotelpool wirft, die Farbe Rot, die sie aus ihrem Film
verbannen will, das schöne Wetter, vor dem es ihr graust, alles wird im
Verlauf des Filmes gedeutet, erklärt, motiviert.

Was auch deshalb ein cleverer Schachzug ist, weil sich der
Disney-Konzern, dem hier ja alle Rechte gehören und ohne dessen
Einverständnis dieser Film niemals hätte realisiert werden können, die
Medaille des Tabubruchs anheften kann, obwohl man ja selbst die Tabus
erst geschaffen hat. Die selbstgezogenen Grenzen werden in Saving Mr. Banks wiederholt
ausgelotet, wenn etwa ein rauchender Disney, von Travers überrascht,
schnell die Kippe ausdrückt: „Nobody is supposed to see this, it’s a bad
example!“ Wie man’s auch wendet, Regelbruch und -bestätigung sind hier
stets zwei Seiten der gleichen Handlung. Es mag alles wohlfeile
Kalkulation sein, denn die Schranken werden ja nicht tatsächlich aus den
Angeln gehoben, sondern nur zeitweilig suspendiert. Aber dieser fast
filmlange Zeitraum, in dem sich ein Unterhaltungsimperium gemeinsam mit
einer verletzten Schriftstellerinnenseele auf die Analysebank legt, ist
doch über jede Selbstverständlichkeit hinaus interessant.

 

(Erstveröffentlichung: critic.de am 20.01.2014 )

Dieser Text wurde gefördert durch die MFG Filmförderung Baden-Württemberg. Im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Preises  erhält der Autor für das Jahr 2014 ein Stipendium zum Verfassen von Filmkritiken.